Amateurfußball

Der fliegende Reporter

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Albert Nsiah während des Interviews. (Foto: Rondinella)


Plötzlich macht es „knack“. Als Albert Nsiah dieses Geräusch hört, weiß er sofort, dass er schwer verletzt ist. Es ist ein Pokal-Halbfinalspiel in der A-Klasse: Schierstein 08 gegen den Portugiesischen SV Wiesbaden. Nsiah will seine Schiersteiner ins Finale führen, treibt den Ball nach vorne, nimmt Tempo auf. Mit einem abrupten Richtungswechsel will er vorbei am Gegenspieler. Doch plötzlich knickt er um, sein Knie springt seitlich raus. Folge: Kreuzbandriss. Es geschieht ohne Fremdeinwirkung, der Gegenspieler streckt zur Sicherheit sogar beide Arme in die Luft und signalisiert dem Unparteiischen seine Unschuld. Nsiah liegt am Boden, schmerzverzerrtes Gesicht –  eine medizinische Odyssee beginnt.

Das ist nun vier Jahre her. Der Kreuzbandriss – von allen Fußballern gefürchtet ­– erweist sich für den 32-Jährigen im Nachhinein jedoch als Glücksfall. Denn die Verletzung und die damit verbundene Pause vom Fußball ist es, die ihn damals dazu bewegte, das Portal „3Ecken1Elfer“ zu gründen. Ein Portal, das sich mit Bewegtbildern dem Amateurfußball in der Rhein-Main-Region widmet und sich bis heute zu einer unter Kickern und Trainern bekannten und geschätzten Instanz entwickelt hat. Jedes Wochenende tummelt sich Nsiah seitdem auf den Rasen- und Hartplätzen der Region und hält mit seiner Kamera drauf. Eine Art Sportschau für die Amateure. Und Nsiah als Gerhard Delling.

Doch wer ist eigentlich dieser Albert Nsiah? Wir treffen den Gründer von „3Ecken1Elfer“ in einer Bar in seinem Heimatort Wiesbaden. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Es ist ein früher Nachmittag, die Sonne scheint, ein lauwarmer Frühlingstag in der hessischen Landeshauptstadt. Nsiah macht es sich vor uns auf einer grünen Couch bequem und entledigt sich seiner Sonnenbrille, die er akkurat auf einem Holztisch vor sich positioniert. Daneben sein Smartphone und ein Glas Wasser, seine Ärmel sind hochgekrempelt. Er lacht viel und laut. Doch wenn er von seinem Kreuzbandriss erzählt, geht seine Stimme runter, sein Blick wird ernster.

Das erste Logo auf einer Serviette

Insgesamt sieben Mal, so erzählt er, operierten Mediziner sein Knie. Der erste Arzt machte einen fatalen Fehler, setzte die Bohrkanäle falsch, die OP lief nicht optimal. Eine Odyssee von Arzt zu Arzt begann. Nach dem sechsten Eingriff steht der damals 28-Jährige dann kurz vor einem künstlichen Kniegelenk. „Zu diesem Zeitpunkt war ich nervlich fertig“, sagt Nsiah heute rückblickend. Doch die Geschichte sollte sich noch zum Guten wenden. Nach erfolgreicher siebter Operation liegt Nsiah schließlich in einer Frankfurter Unfallklinik neben einem Zimmergenossen, der nur wenige Jahre älter ist als er. Ihm hat es Nsiah letztlich zu verdanken, dass „3Ecken1Elfer“ heute existiert. Ein Wink des Schicksals.

„Er sagte mir, ich solle etwas machen, was noch keiner gemacht hat“, erzählt Nsiah, „Ich solle mein Leben sinnvoll nutzen.“ Die Idee für eine Fußballsendung im Amateurbereich hatte er schon lange, nun schien die Zeit reif für die Umsetzung. Und so kam es dann auch: Noch in seinem Krankenbett tüftelt er motiviert an einem Sendungskonzept. Die erste Skizze für ein Logo kritzelt er auf eine Serviette, die er heute noch in einer Schublade zuhause als Andenken aufbewahrt. Ein Freund, der als Kameramann arbeitete, ist sofort mit im Boot. Die Pilot-Folge drehen beide schließlich beim Finale eines Turniers der SG Gladbach-Hausen. Sie filmten die Partie und interviewten die Spieler. Die erste Folge „3Ecken1Elfer“ war im Kasten.

Das Projekt wird ein voller Erfolg. Vor allem, weil Nsiah sein Herzblut reinsteckt. Er kombiniert die beiden Dinge, die er liebt: Fußball und Moderation. Letzteres fiel ihm leicht, weil er nach seiner Ausbildung zum Schreiner und während seines (abgebrochenen) Wirtschaftsstudiums freiberuflich als Model und Moderator arbeitete. Sich zu präsentieren hat er lange Zeit perfektionieren gelernt.

„Meine Videos waren mit Abstand die meistgeklicktesten auf deren Homepage. Drei- bis viermal so oft, wie die anderen.“

Basierend auf dem Erfolg seiner „3Ecken1Elfer“-Sendungen, werden die ersten Sponsoren auf den jungen Moderator aufmerksam. Sogar die Verlagsgruppe Rhein-Main zeigt Interesse und kauft die Exklusivrechte an Nsiahs Videos, um sie auf der Website des Wiesbadener Kuriers einzubinden. „So kam die erste Kohle rein.“ Nach sechs Wochen beendet der Verlag den Deal aus Kostengründen. Nsiah versteht das bis heute nicht und schüttelt den Kopf: „Meine Videos waren mit Abstand die meistgeklicktesten auf deren Homepage. Drei- bis viermal so oft, wie die anderen.“ Das wisse er aus sicheren Quellen aus dem Verlag. Bis heute ist „3Ecken1Elfer“ nicht wirklich rentabel, sagt er. Geld verdient Nsiah mit seinem Portal nur, wenn er Sponsoren an Land ziehen kann oder sein Videomaterial als DVD an Vereine verkauft, die es zu Analysezwecken gebrauchen.

In Johannesburg erkannt

Ohne seinen Hauptberuf könne er das Projekt finanziell gar nicht stemmen: Nsiah fliegt drei- bis viermal im Monat für die Lufthansa als Flugbegleiter durch die Welt. Ein Personaler war vor drei Jahren über eine Agentur auf ihn aufmerksam geworden und fragte, ob er nicht Lust hätte als Flugbegleiter zu arbeiten. Das war wenige Monate nach seinem Kreuzbandriss. „Zum Bewerbungsgespräch ging ich im Anzug und auf Krücken.“ Er bekam den Job. Heute fliegt er überwiegend Langstrecke. Die Flüge legt er sich so, dass er unter der Woche über den Wolken ist und am Wochenende für „3Ecken1Elfer“ wieder am Spielfeldrand stehen kann. Freie Tage hat er selten, sagt Nsiah, während er kurz an seinem Wasserglas nippt und sich wieder in die Couch zurücklehnt. „Wenn die Kollegen kurz vor dem Rückflug am Pool liegen, liege ich dort auch – aber mit einem Laptop auf dem Schoß. Ich schneide mein Material oder bereite die nächste Sendung vor.“

Das Jetset-Leben mache ihm Spaß. Vor allem, wenn man am anderen Ende der Welt von Fremden erkannt und angesprochen wird. Hin und wieder kommt das vor. „Ey, das ist doch der von ‚3Ecken1Elfer‘“, rief erst vor wenigen Wochen ein Passagier beim Boarding im südafrikanischen Johannesburg. Im Ausland von treuen Fans des Portals erkannt zu werden, sei eine einmalige Würdigung seiner Arbeit, sagt Nsiah. Dasselbe sei ihm bereits schon in Seattle und in Norddeutschland passiert. „Da geht einem das Herz auf.“

Seine Bekanntheit ist durch ein bestimmtes Video aus jüngster Vergangenheit sogar rasant angestiegen. Das Interview, in dem DJK-Bad Homburg-Kapitän Steffen Paul die Verletzungsmisere der Stammspieler beklagt und beim Jonglieren mit Zahlen keine gute Figur macht, wird zu einer Youtube-Sensation mit über 150.000 Klicks. Normalerweise erzielt Nsiah mit seinen Videos im Schnitt nur rund 2000 Abrufe. „Das ging ab wie Schmitzkatze“, staunt er noch heute und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Auch die Massenmedien griffen es auf: Eurosport, Sport1, Sky, n-tv, N24 und TV Total. Noch nie hatte ein Video von „3Ecken1Elfer“ so viel Aufmerksamkeit erregt wie mit diesem Material. Und das überregional.

Die andere Seite der Medaille: Steffen Paul ist die Sache mehr als unangenehm. Als der Medien-Hype an seinem Höhepunkt ist, macht Nsiah sich Sorgen. Er versucht dreimal Paul anzurufen, schickt Textnachrichten und spricht ihm mehrmals auf die Mailbox. Vergeblich. Keine Rückmeldung – bis heute. Als RTL Hessen sich meldet und beide ins Studio einladen will, sagt Nsiah zu. Paul lehnt ab. „Ein Fehler“, findet Nsiah. „Er hätte vor großem Publikum seinen Standpunkt klarer machen können. Er hätte zeigen können, dass er über sich selbst lachen kann. Das ist Amateurfußball, so etwas passiert nun mal.“

Doch statt zurückzublicken, schaut Nsiah nun lieber in die Zukunft. „3Ecken1Elfer“ wird sich in den nächsten Jahren verändern, kündigt er an. In den nächsten drei Jahren soll ein Sponsor an Land gezogen werden, der es ihm ermöglicht, die Manpower zu erhöhen. Nsiah wünscht sich ein zweites Kamerateam, das an den Wochenenden ein weiteres Spiel filmt und schneidet. Pro Jahr soll dann möglichst immer ein Mann hinzukommen. Auf dem Weg zur kleinen Sportschau.

Gestartet ist bereits der neue „Fan-Talk“, eine Gesprächsrunde zu aktuellen Fußball-Themen. Die Pilotfolge zum Thema Gewalt auf Sportplätzen ist bereits abgedreht und stieß auf positives Feedback im Netz. Vor Anfragen und Themenvorschlägen für die Talks kann sich Nsiah im Netz kaum retten. Die nächsten Folgen sollen gar vor Publikum stattfinden.

Es sind solche innovativen Ideen, mit denen Nsiah bis jetzt immer den richtigen Riecher hatte. Nicht verwunderlich, wenn auch das neue Format, der „Fan-Talk“, ein Erfolg wird. Er scheint zu wissen, was beim Zuschauer ankommt. Und weil man merkt, dass der Fußball seine Passion ist, wird er für seine Arbeit geschätzt. Von sich selbst sagt Nsiah, dass er bald als Moderator im Fernsehen durchstarten möchte. Mit ein paar Sendern sei er bereits in Gesprächen. Es sei kein einfacher Weg, sagt er, aber man müsse sich nun mal durchboxen. Auf dem Rasen hat er mittlerweile gezeigt, wie man sich durchboxt: Seit einem Jahr kickt er wieder regelmäßig für einen Verein. Es sind die „Alten Herren“ von Schierstein 08. Der Verein, bei dem er sich vor vier Jahren das Kreuzband riss. So schließt sich der Kreis.

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Ein Kommentar zu “Der fliegende Reporter

  1. Ich mag 3Ecken1Elfer, kann den Spieler aber auch verstehen der sich nicht mehr dazu äußern will. Nsiah hätte den mathematischen Fehltritt auch einfach übergehen können. Statt dessen bohrte er nach und der Spieler machte es nur noch schlimmer.
    Beide sind Amateure, der eine bekam auf Kosten des anderen tolle Publicity, über den anderen lacht die Republik.

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